Licht als Insektenfalle
Beitrag: 05. Juni 2022
Foto: 23. Mai 2022
 
Was wie außerirdische Wesen oder Glühwürmchen anmutet, sind Nachtfalter und kleinere Insekten direkt unter einer "modernen" LED-Straßenleuchte am Gehweg zwischen zwei Häuserreihen in Idstein, in einer 100 minütigen Gesamtaufnahme während der Nachtdimmung der Leuchten [Vollbildansicht].

Eigentlich sollen moderne LED-Leuchten aufgrund des kleineren Abstrahlwinkels und da sie kein direktes Licht mehr nach oben abstrahlen, wesentlich weniger Insekten als alte Leuchten anziehen. Allerdings haben die vor ein paar Jahren in Idstein installierten LED-Leuchten einen starken Blauanteil und eine höhere Leuchtdichte, die wie ein Magnet auf Insekten wirkt - hier in einer Messung durch ein Spektrometer, der die Wellenlängenanteile des Lichts darstellt:

Die Farbtemperatur liegt bei rund 3500 Kelvin, und damit deutlich über den 1800 Kelvin der alten Leuchten. Auffällig ist dabei vor allem der schmalbandige Blauanteil mit der hohen Spitze. Zum Verständnis: je geringer der Blauanteil, desto niedriger (und damit "wärmer") die Farbtemperatur in Kelvin.

Auch wenn Insekten nicht mehr wie früher an der Leuchte verglühen, werden sie durch die Leuchten von ihren nächtlichen Tätigkeiten stark abgelenkt und beeinträchtigt. Die Bestäubungsleistung der Nachtfalter geht dadurch zurück und auch die Fortpflanzung wird gestört. Die Insekten können außerdem direkt an den Folgen der Erschöpfung und der geminderten Nahrungsaufnahme verenden, oder auch indirekt wegen einer erhöhten Anfälligkeit auf Krankheiten durch ein geschwächtes Immunsystem.

Das Resultat ist ein Rückgang der Insektenpopulation mit weitreichenden Auswirkungen für Mensch und Ökosystem, wie ein Beitrag des → Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz (...) ausführlich, aber leicht verständlich beschreibt.

Die meisten der Erkenntnisse sind seit Jahrzehnten bekannt. So sind die negativen Auswirkungen von blauhaltigem Licht auf Mensch und Natur nachts sehr gut studiert und dokumentiert. Um so erstaunlicher ist es, dass das Land Hessen auch die Umstellung auf blauhaltige LED fördert. Wie man in einem → Presseartikel der Hessischen Landesregierung nachlesen kann, erhielt Idstein 113.000 EUR an Fördermittel, was 20% der Umrüstungskosten von 1570 Leuchten ausgemacht haben soll. Das bedeutet, dass rund eine halbe Million EUR auch aus unseren Steuergeldern finanziert wurden, um damit der Umwelt zu schaden.

Im Hessisches Straßengesetz §9 Straßenbaulast ist sogar definiert, dass der Träger der Staßenbaulast die sonstigen öffentlichen Belange einschließlich des Umweltschutzes zu berücksichtigen hat. Dieses Gesetz hätte daher bei der Umrüstung der Straßenleuchten von der Stadt Idstein berücksichtigt werden müssen.

Es gibt mehrere mögliche Maßnahmen gegen den Lichtfallen-Effekt. Die effizienteste ist eine stärkere Dimmung nachts. Die Anzahl angezogener Insekten verhält sich nämlich ungefähr linear zur Helligkeit der Leuchten. Grob gesagt: halbe Helligkeit = halbe Insektenmenge, 10% Helligkeit = nur 10% der Insektenmenge, und Nachtabschaltung = keine Insekten werden angezogen. Stärkere Dimmungen oder Teilabschaltungen sind vor allem in naturnahen Bereichen und überall dort sinnvoll, wo zu bestimmten Zeiten wenige bis keine Menschen verkehren. Davon hat Idstein mehr als genug.

Gegen solche Maßnahmen wird gerne mit Sicherheitsaspekten argumentiert. Dabei gibt es in Bezug auf Kriminalität nachweislich keinen Zusammenhang zwischen der Beleuchtungsstärke und der Kriminalitätsrate. Manchmal ist es sogar so, daß Licht Einbrüche und Überfälle erleichtert oder gar erst ermöglicht. Und anders als man es vermuten würde hat die Stadt (mit Ausnahmen) keine Beleuchtungspflicht.

Viele Menschen merken übrigens nicht, daß gegen 21:45 eine Dimmung der Idsteiner Straßenleuchten auf die Hälfte der Helligkeit erfolgt. Selbst wenn man direkt vor einer Leuchte steht und darauf achtet, hat man das Gefühl, daß die Leuchte nur ein klein wenig dunkler geworden ist. Das hängt damit zusammen, daß wir Helligkeitsunterschiede nicht linear wahrnehmen. Daher wäre eine Nachtdimmung auf 25% anstatt auf 50% problemlos möglich, ohne daß es einen großen Unterschied ausmachen würde.

 
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