Ratgeber: Glasfaseranschluss |
Beitrag: 27. März 2024 |
Worum geht es?
Derzeit klingelt es bei vielen Idsteiner Haushalten. Mitarbeiter der Firma NICOM UG, die Verträge der Firma Unsere Grüne Glasfaser GmbH & Co. KG (kurz: UGG) aus Bayern vermitteln, bieten Vorverträge für das kostenlose Verlegen von Glasfaserkabeln zu den Haushalten an.
Nun stellt sich die Frage, ob man einen solchen Vertrag unterzeichnen soll oder nicht. Die Verlockung ist schließlich groß, in der Phase der sogenannten Nachfragebündelung sich dieses Leckerli zu sichern. Zumal die Umstellung auf Glasfaser nach gängiger Meinung so oder so kommen wird. Werbung von offizieller Stelle
Die Stadt Idstein wirbt auf einer aktuellen Pressemitteilung für das Vorhaben, was sicherlich hilft der unseriösen Vermittlung an der Haustür einen offiziellen Anstrich zu verleihen.
Die Stadt erläutert in der Pressemitteilung, dass der Ausbau der örtlichen digitalen Infrastruktur mit leistungsfähiger Glasfaser in Idstein durch die UGG erfolgen soll. Diese Formulierung suggeriert eine Art Exklusivrecht. Ob eine solche tatsächlich vorliegt, ist mir nicht bekannt - sie erscheint allerdings fragwürdig. Was möglicherweise mit einhergeht, ist eine vereinfachte Genehmigung die öffentlichen Straßen aufzureißen, um die Glasfaserkabel zu verlegen. Dies sieht eine Bundesvorgabe allerdings sowieso vor, damit der Ausbau des schnellen Internets erleichtert wird. Jedenfalls scheint die Stadt Idstein darauf zu vertrauen, dass die UGG für den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur der richtige Partner ist. Art der Vermarktung
Die Mitarbeiter der NICOM UG treten freundlich an der Haustür auf, insbesondere wenn das Interesse der Anwohner bereits vorhanden ist. Dann ist das Ganze fast ein Selbstläufer. Wenn man allerdings keinen Bedarf sieht oder kein Interesse hat, werden die Mitarbeiter der NICOM UG schon etwas penetrant und es kommt zu wiederholten Besuchen trotz vorheriger klarer Absage. Es werden dabei auch fragwürdige Aussagen getätigt, die darauf abzielen beim Anwohner Druck ob der verpassten Gelegenheit zu erzeugen.
Wer trägt die Kosten?
Der Stadt Idstein entstehen nach eigener Aussage keine Kosten und es werden auch keine Fördermittel in Anspruch genommen - die UGG führt die Sache also eigenwirtschaftlich durch. Das Ganze wird durch Nutzungsgebühren für den Internetzugang querfinanziert, die dem Kunden monatlich durch einen fest vorgegebenen Internetanbieter berechnet werden.
Modernisierung der Infrastruktur
Auf Bundesebene wird derzeit die Modernisierung der Internet-Infrastruktur vorangetrieben. Das Ganze trägt den Namen Gigabitstrategie. Diese zielt hauptsächlich darauf, Versorgungslücken im ländlichen Bereich zu schließen, so dass schnelles Internet für alle verfügbar wird. Nun ist aber Idstein hinsichtlich des Angebots für schnelles Internet bei Privathaushalten bereits ganz gut aufgestellt.
Glasfaser statt Kupfer
Auf der anderen Seite haben Internetanbieter den Wechsel von Kupfer zu Glasfaser aufgrund der technischen Vorteile als eindeutig sinnvoll ausgemacht. Über ein Glasfaserkabel lassen sich deutlich höhere Datenmengen in kürzerer Zeit über längere Wegstrecken bewegen, die Glasfaserleitung ist größtenteils weniger störanfällig, soll robuster gegen Anzapfungen sein, und die Daten lassen sich mit einem niedrigeren Stromverbrauch transportieren.
Dennoch hat Kupfer bisher ihre Daseinsberechtigung, vor allem im Privatkundenbereich. Die Kupferleitungen und die benötigte Hardware sind bereits überall vorhanden, während die Glasfaserleitungen aufwändig verlegt werden müssen. Einsparung der Erschließungskosten
In Kontext einer besseren und als zukunftsträchtiger ausgemachte Technik ist ein kostenlos verlegter Anschluss der Idealzustand für Stadt und Bürger - da spart man sich gut 600 EUR an Erschließungskosten pro Haushalt. Um in Anspruch der kostenlosen Verlegung des Glasfaserkabels zu kommen, muss man einen Vertrag mit einer Mindestdauer von 2 Jahren mit O2 eingehen. Kein anderer Internetanbieter ist zulässig. Das muss zunächst nicht unbedingt ein Nachteil sein, lässt aber schon mal aufhorchen.
Der günstigste Glasfasertarif von O2 beginnt bei 45 EUR pro Monat. Im ersten Jahr ist dieser auf 30 EUR pro Monat reduziert. Auf die ersten 2 Jahren aufsummiert ergibt dies 900 EUR und ein Durchschnittspreis von 37,50 EUR pro Monat. Zusatzkosten: Router
Der bisherige DSL-, VDSL- oder Kabelrouter funktioniert nicht mit Glasfaserleitungen. Daher wird ein neuer Router benötigt. Hier hat man die Wahl für 4 EUR im Monat den hauseigenen Router von O2 zu mieten, der allerdings einen begrenzten Funktionsumfang hat. Oder man mietet die sinnvollere Fritzbox in der Variante für Glasfaseranschlüsse für 7 EUR monatlich. Wer gerne die Sache selbst in die Hand nimmt, kann sehr wahrscheinlich die passende Fritzbox auch erwerben, was mittelfristig betrachtet die günstigere Lösung ist.
Zusatzkosten: Telefonieren
Die Tarife von O2 enthalten eine Telefonflatrate in die nationalen Netze. Allerdings sind nur eine einzige Rufnummer und vor allem eine einzige Leitung im Tarif enthalten. Wer gleichzeitig über 2 Leitungen telefonieren möchte oder mehrere Rufnummern benötigt, muss 3 EUR extra pro Monat bezahlen.
Geschwindigkeit
Beim günstigsten Tarif (für 45 EUR im Monat) erhält man 100 MBit im Download und 40 MBit im Upload. Das ist preislich ungefähr vergleichbar mit den gleich schnellen VDSL-Tarifen.
Für 5 EUR Aufpreis (also 50 EUR im Monat ohne Zusatzoptionen) erhält man 250 MBit im Download. Auch das kann man zum einem ähnlichen Preis über einen Kabelanschluss beziehen, und bei einigen Haushalten auch über VDSL. Gigabit-Bandbreite
Schneller als VDSL ist ein Glasfaser-Tarif mit 500 MBit - dieser schlägt allerdings mit 60 EUR pro Monat zu buche. Und der Beginn der echten Gigabit-Performance - 1000 MBit, mit der Glasfaser ja eigentlich beworben wird - zahlt man satte 80 EUR im Monat.
Für die meisten Haushalte sind die letzten beiden Tarife in der Gegenwart allerdings überdimensioniert. Selbst wenn mehrere Familienmitglieder Streaming-Dienste wie Netflix & co. nutzen oder man zu zweit im Homeoffice tätig ist, reichen langsamere Leitungen in der Regel vollkommen aus. Kostenvergleich
Nehmen wir den kleinsten Tarif, dazu die Option für zwei gleichzeitige Telefongespräche und den günstigsten Mietrouter. Auf zwei Jahre gerechnet zahlen wir durchschnittlich 37,50 + 3 + 4 = 44,50 EUR pro Monat. Sofern wir vorher schon einen Tarif in ähnlicher Höhe hatten, hätten wir nichts verloren und uns 600 EUR für das Verlegen des Glasfaseranschlusses gespart.
Was passiert ab dem 3. Jahr?
Ab dem 3. Jahr zahlen wir für den günstigsten Tarif mit den oben ausgewählten Optionen 45 + 3 + 4 = 52 EUR pro Monat. Das ist es schon teurer als vorher - wohl gemerkt für die gleiche Geschwindigkeit, die uns vorher mit VDSL oder Kabel schon zur Verfügung stand.
Für Haushalte, die günstigere Tarife mit einer etwas langsameren Verbindung hatten, macht sich der Unterschied dann schon deutlicher bemerkbar. Da kommt der Gedanke: nach Ablauf der Mindestlaufzeit zu einem günstigeren Anbieter von Glasfasertarifen wechseln. Alternative Internetanbieter
Nun spricht die UGG zwar davon, dass ihre Glasfaserleitungen grundsätzlich offen für andere Internetanbieter sind. Allerdings müsste die UGG hierzu eine Kooperation mit einem anderen - in Idstein verfügbaren - Internetanbieter eingehen, die es zurzeit nicht gibt. Bisher gibt es im gesamten Versorgungsgebiet der UGG lediglich 2 lokale Alternativen, und keine einzige deutschlandweite - nur O2.
Interessenskonflikt?
Die UGG ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Allianz und Telefónica Group ist. Zu letzterer gehört O2. Insofern dürfte die Motivation von UGG eine Kooperation mit einem anderen deutschlandweiten Internetanbieter einzugehen, der in Konkurrenz zu O2 steht, sich sehr in Grenzen halten. Daher ist es besser man plant ohne die Option eines alternativen Anbieters und geht von einer langen Bindung zu O2 aus.
Rückwechsel zur Kupferleitung
Was man freilich ab dem 3. Jahr machen kann, ist zu einem anderen Anbieter zu wechseln, der Internet über die weiterhin im Hausanschluss befindliche Kupferleitung bedient. Diese bleibt ja auch beim Verlegen der Glasfaserleitung erhalten.
Tiefbauarbeiten
Für die neuen Glasfaseranschlüsse sind Tiefbauarbeiten erforderlich. Es muss sowohl die öffentliche Straße aufgerissen werden, als auch das Privatgrundstück - inkl. Wanddurchgang. Es ist daher eine sogenannte Grundstückseigentümererklärung vom Kunden zu unterzeichnen. Bei solchen Arbeiten können Bauschäden entstehen und es können sogar andere Leitungen (wie z.B. Wasser) betroffen sein. Daher empfehlen Verbraucherseiten diese Erklärung von einem Anwalt überprüfen zu lassen. So weiß man, auf was man sich im Fall der Fälle einlässt und wer welche Schäden übernimmt.
Wenn man nach Erfahrungen mit der UGG googelt, ist die Anzahl an negativen Berichten bei den Kabelverlegungsarbeiten erschreckend hoch. Üblicherweise argumentiert der Berater an der Haustür, das seien alles Kinderkrankheiten aus der Anfangszeit, die nun überwunden sind. Ob dem tatsächlich so ist, kann man schlecht beurteilen. Daher macht es schon Sinn sich ein paar Berichte im Internet anzuschauen, am besten die Aktuellsten. Wechsel eines Anschlusses
Beim Wechsel eines Anbieters oder einer Zugangsart (Kupfer auf Glasfaser) können manchmal technische Probleme auftreten, deren Lösungen alles andere als trivial sein können. Wer sich schon einmal nach einem Anbieterwechsel erfolglos durch die Hotlines des Anbieters hat durchkämpfen müssen oder es selbst nach mehreren Technikerbesuchen zu keiner Lösung kam, ist sicherlich vorsensibilisiert. In solchen Fällen sind gute Nerven und ausreichend Zeit gefragt.
Im Kontext eines Glasfaseranschlusses, der parallel zur bestehenden Kupferleitung aufgebaut wird, ist zumindest die Weiterversorgung durch den bestehenden Anbieter denkbar. Außer wenn der bestehende Anschluss bei den Tiefbauarbeiten beschädigt wird. Breitbandmessung
Wer das Gefühl hat ein viel zu langsames Internet zu haben, könnte meinen ein neuer Glasfaseranschluss sei die Lösung aller Probleme. Hier empfiehlt sich allerdings zunächst den Durchsatz seines Internetanschlusses und des WLAN zu testen. Hierzu kann die Seite zur Breitbandmessung der Bundesnetzagentur bzw. die gleichnamige App für Handys und Tablets genutzt werden. Man misst damit sinnvollerweise zuerst die Geschwindigkeit an einem PC, das per Kabel mit dem Internetrouter (also der Fritzbox oder ähnliches) verbunden ist. Anschließend kann man an verschiedenen Endgeräten die WLAN-Geschwindigkeit in unterschiedlichen Räumen messen.
Sollte das WLAN wesentlich langsamer als der kabelgebundene PC sein, ist das WLAN sehr wahrscheinlich der Flaschenhals. Dann wird auch ein Glasfaseranschluss keine Besserung bringen. Gleich ob alter oder neuer Anschluss gilt: Mit WLAN-Repeater, die als sogenannte WLAN-Brücke (kabellos) oder LAN-Brücke (einseitig kabelgebunden) das Signal in diesen Räumen verstärken und damit den Durchsatz deutlich erhöhen, kann das Problem zumeist gelöst werden. Kommunikation mit bestehendem Anbieter
Für diejenigen, die eine langsame Internetverbindung haben, aber ein teurerer Glasfaseranschluss nicht in Frage kommt, besteht die Möglichkeit beim Kundenservice seines aktuellen Internetanbieters nachzufragen, ob es in der Zwischenzeit bessere Tarifangebote gibt - gerne mit Verweis auf die aktuelle Glasfaserverlegung durch die UGG in Idstein. Die Anbieter haben dabei oftmals die Möglichkeit - in der Regel in Kombination mit einer Vertragsverlängerung um weitere zwei Jahre - ein kostenloses Upgrade auf eine deutlich höhere Geschwindigkeit anzubieten.
Es kommt manchmal auch vor, dass ein Anbieter von sich aus aktiv wird und ihre Kunden mit kostenlosen Upgrade-Möglichkeiten per Post anschreibt. Fazit
Soweit diverse Aspekte, die man vor der aktuell angebotenen Umstellung auf Glasfaser berücksichtigen kann. In jedem Fall macht es Sinn sich beim Vertragsabschluss nicht unter Zeitdruck setzen zu lassen, um sich in Ruhe eine eigene Meinung zu bilden.
Auch macht es wenig Sinn sich von Totschlagargumenten blenden oder verunsichern zu lassen. So wird z.B. gerne eine potentielle Wertsteigerung der Immobilie angepriesen oder die angebliche künftige Stilllegung der Kupferleitungen. Eine 600 EUR Investition wird den Preis einer Immobilie, die vorher bereits Zugang zu VDSL hatte, wohl kaum in relevanter Weise ändern. Insbesondere dann nicht, wenn der neue Glasfaseranschluss in absehbarer Zeit eine Monopol-Sackgasse darstellt. Was Stilllegungen angeht: Die Kupferleitung bietet der Telekom weiterhin die Möglichkeit ihren Kunden Internetzugänge anzubieten, auch wenn die Telekom die Glasfaseranschlüsse der UGG nicht (oder nicht wirtschaftlich genug) nutzen kann. Das könnte umso wichtiger werden, da derzeit Bestrebungen laufen, die Verlegung von mehreren Glasfaserleitungen durch unterschiedliche Anbieter am gleichen Haushalt zu verhindern. In der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes wurde zudem festgelegt, dass jeder Haushalt Anspruch auf eine Grundversorgung mit Internet hat. Weiterführende Informationen
Eine ausführliche Informationenseite zum Glasfaseranschluss ist beim Verband Wohneigentum NRW zu finden.
Außerdem gibt es eine FAQ zum Glasfaseranschluss bei der Verbraucherzentrale. |